Ethikrichtlinien der Deutschen Gesellschaft für Trauma und Dissoziation (DGTD e.V.)


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Präambel

Die Deutsche Gesellschaft für Trauma und Dissoziation (DGTD) e.V. ist eine Fachgesellschaft, deren Mitglieder sich im Rahmen ihres beruflichen Kontextes mit Menschen beschäftigen, die aufgrund traumatischer Erfahrungen an Traumafolgestörungen, vor allem im Bereich dissoziativer Symptomatik, leiden.

Diese Menschen brauchen einen besonderen Schutz und Fürsorge im professionellen Kontext.

Die Ethikrichtlinien geben den Rahmen vor und gelten im Sinne einer Selbstverpflichtung für alle Vereinsmitglieder, unabhängig von ihrer beruflichen Qualifikation und ihrem Tätigkeitsbereich. Sie haben einen Norm setzenden Charakter.

Jedes DGTD-Mitglied verpflichtet sich zur Einhaltung der jeweils gültigen berufsrechtlichen Richtlinien und Gesetze und der hier folgenden Ethikrichtlinien, hierzu gehören auch die Expertenempfehlungen für die Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) bei Erwachsenen in der jeweils gültigen Fassung. Diese sind auf der Homepage der Deutschsprachigen Gesellschaft für Trauma und Dissoziation (DeGPT e.V. www.degpt.de) und in der englischen Originalversion auf der Homepage der International Society for the Study of Trauma and Dissociation (ISST-D www.isst-d.org) einsehbar und bei Klett Cotta veröffentlicht (Gast, Ursula / Wirtz, Gustav (Hrsg.) (2016). Dissoziative Identitätsstörung bei Erwachsenen, Expertenempfehlungen und Praxisbeispiele, Klett Cotta, Stuttgart).

Die Ethikrichtlinien ergänzen die Satzung der DGTD und ergänzen und erläutern die berufsrechtlichen Vorschriften.

Zusätzlich sind psychologische und ärztliche PsychotherapeutInnen in ihrer Behandlungstätigkeit an die allgemeinen psychotherapeutischen Richtlinien gebunden und verrichten ihre Arbeit auf der Basis der entsprechenden Berufsordnungen oder Musterberufsordnungen der jeweiligen ärztlichen und psychotherapeutischen Kammern.

I. Allgemeine ethische Grundsätze    

Da traumatische Erfahrungen sehr häufig durch Grenzüberschreitungen im interpersonellen Bereich gekennzeichnet sind, besteht eine hohe Vulnerabilität traumatisierter Menschen für Grenzverletzungen und erneute Traumatisierung. Daher ist es in allen professionellen Kontexten unabdingbar, auf die Einhaltung der individuellen Grenzen der KlientInnen und PatientInnen zu achten und diese bei der Kontaktgestaltung zu berücksichtigen.

1. Die Abhängigkeit der KlientInnen und PatientInnen darf nicht ausgenutzt werden. Die besondere professionelle Beziehung ist zu schützen und die eigene Kompetenz zu sichern.

2. Psychosoziale Traumaarbeit und traumaorientierte Psychotherapie ist u.a. ausgerichtet auf  die  Aufarbeitung von belastenden Erlebnissen. Hierbei ist es wichtig zu berücksichtigen, dass die KlientInnen bzw. PatientInnen die Grenzen dessen, was sie bearbeiten wollen, selbst bestimmen.

3. Es ist die Aufgabe des/der professionellen HelferIn und des/der PsychotherapeutIn, sich auf die erhöhten  Anforderungen, wie sie für die Aufarbeitung psychischer Traumatisierungen erforderlich sind, entsprechend vorzubereiten.

Dazu muss er/sie die Grenzen des therapeutischen Raumes und der Professionalität verlässlich und sicher herstellen und bewahren. Diese Verantwortung geht über die Beendigung der helferischen und/oder therapeutischen Arbeitsbeziehung hinaus. Die Sicherstellung dieser Ziele ist nur gewährleistet, wenn das Abstinenzgebot auch nach Abschluss der Therapie und des Kontakts erhalten bleibt. Verstöße gegen das Abstinenzverbot sind eine Überschreitung der Grenzen des therapeutischen Raums.

4. Die Ethikrichtlinien gelten auch für die Tätigkeit von Mitgliedern im Rahmen von Selbsterfahrung und Supervisionen von KollegInnen bis zum Abschluss der Ausbildung.

II. Spezielle Ethische Grundsätze

Ein DGTD-Mitglied muss folgende Grundsätze beachten:

1. Gestaltung  der Beziehung zu KlientInnen und/oder PatientInnen

Jedes DGTD-Mitglied, das im professionellen Kontext mit KlientInnen und PatientInnen arbeitet, achtet jederzeit die Würde und Integrität des/der KlientIn und/oder PatientIn.

Es ist verpflichtet, die im jeweiligen professionellen Kontext erforderliche Abstinenz zu sichern.

Daraus folgt, dass er/sie niemals seine/ihre Autorität und professionelle Kompetenz missbräuchlich dafür einsetzt, durch den/die KlientIn und/oder PatientIn  Vorteile zu erzielen:

a) Alle Formen von Zuwendungen finanzieller oder sonstiger materieller Natur, die nicht professionell angemessen sind, oder andere Formen ökonomischer Abhängigkeitsverhältnisse sind abzulehnen. Entsprechende Bestimmungen des Arbeitgebers sind zu beachten. Im Falle von selbst finanzierter Psychotherapie ist ein angemessenes Honorar einzuhalten. Zuzahlungen bei gesetzlich Versicherten dürfen nach zulassungsrechtlichen Bestimmungen nicht verlangt werden. Entgelte für Kontakte in pädagogischen Kontexten orientieren sich an den ortsüblichen Entgeltvereinbarungen der jeweiligen Kostenträger.

b) Keinesfalls nimmt ein DGTD-Mitglied sexuelle Beziehungen zu KlientInnen und PatientInnen auf. Ebenso wenig nimmt es während oder nach dem professionellen Kontakt an dem/der KlientIn oder PatientIn sexuelle Handlungen vor oder lässt diese an sich vornehmen. Es ist im Sinne des Abstinenzgebotes unzulässig, wenn das DGTD-Mitglied eigene Bedürfnisse emotionaler, narzisstischer, sexueller, wirtschaftlicher oder sozialer Art realisiert – auch dann, wenn der/die KlientIn oder PatientIn dieses bewusst wünscht oder diesem zustimmt.

Das Abstinenzgebot gilt auch über die Beendigung der Arbeitsbeziehung hinaus. Empfohlen wird zudem  eine unabhängige qualifizierte Supervision.

c) Zur Verantwortung des DGTD-Mitglieds gehören ebenfalls Zuverlässigkeit, klare Absprachen und Einhaltung des jeweiligen professionellen Settings. Dies gilt auch für Terminvereinbarungen, Honorare sowie eine grundsätzliche Informations- und Aufklärungspflicht (Behandlungsvertrag), ebenso Aufklärung über Diagnose, Nebenwirkungen, voraussichtliche Behandlungsdauer, Behandlungsverfahren und -methoden sowie entsprechende Alternativen (Informed Consent).

2.  KlientInnen und/oder PatientInnen als Eltern

"Pflege und Erziehung der Kinder und Jugendlichen sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft." (Art. 6; Abs. 2 Grundgesetz).

BehandlerInnen von KlientInnen und/oder PatientInnen sollten sich der mit dem Störungsbild einer dissoziativen Störung – insbesondere einer DIS – verbundenen Risiken für deren Kinder bewusst sein. Dies ergibt sich aus der Expertenempfehlung für die Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung bei Erwachsenen.

In diesen Fällen ist durch den/die BehandlerIn zu prüfen, inwieweit Eltern und/oder in Gemeinschaft lebende Personen gemeinsam in der Lage sind, eine Absicherung des  Kindeswohls in den jeweiligen kindlichen Entwicklungsphasen zu gewährleisten.

Dabei ist zu bedenken, dass das Elternrecht aus Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein fiduziarisches Recht ist. Dies bedeutet, dass das Grundrecht im Interesse der Kinder auszuüben ist. Daher soll durch der/die BehandlerIn ggf. in Übereinstimmung mit der Gesetzesvorschrift zur Kooperation und Kommunikation im Kinderschutz (KKG) auf eine Inanspruchnahme von Leistungen der Jugendhilfe durch die sorgeberechtigten Eltern hingewirkt werden.

3. Schweigepflicht, Dokumentation, Datenschutz

Jedes DGTD-Mitglied verpflichtet sich zur Wahrung des Berufsgeheimnisses und zur aktiven Sicherung der ihm anvertrauten Informationen.

a) Er/Sie behandelt Informationen über Personen und Institutionen, die er/sie im Zusammenhang mit seiner/ihrer beruflichen Tätigkeit erhält, vertraulich. Die Vertraulichkeit ist ein ganz wesentlicher Grundsatz der Arbeit. Die Weitergabe solcher Informationen ist nur statthaft, wenn sie im Interesse der Betroffenen und mit deren ausdrücklicher schriftlicher Einwilligung geschieht. Hiervon kann nur ausnahmsweise unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe (rechtfertigender Notstand und entschuldigender Notstand) abgesehen werden.

b) Ein DGTD-Mitglied wahrt die Dokumentationspflicht nach der Datenschutzgrundverordnung, dem Bundesdatenschutzgesetz und der jeweils aktuellen Datenschutzbestimmungen, die der fachliche Standard vorgibt.

c) Ein DGTD-Mitglied sichert zu, dass alle Dokumente, die vertrauliche Informationen enthalten, vor dem Zugriff Dritter geschützt werden.

d) Mitteilungen des/der KlientIn und/oder des/der PatientIn behandelt das DGTD-Mitglied vertraulich, auch über dessen/deren Tod hinaus, soweit gesetzliche Bestimmungen oder der ausdrückliche Wille des/der KlientIn und/oder PatientIn nicht Anderes gebieten oder vorschreiben.

e) Die Diskretions- und Schweigepflicht gilt auch für folgende Situationen:

  • Veröffentlichungen
  • Supervisionen und kollegiale Beratungen
  • den vorsorglichen Datenschutz bei ggf. eintretender Berufsunfähigkeit oder Tod des DGTD-Mitglieds im Hinblick auf alle Aufzeichnungen über KlientInnen und/oder PatientInnen (etwa durch ein "Praxistestament").

4. Berufliche Kompetenz

Das DGTD-Mitglied informiert sich kontinuierlich über die rechtlichen Rahmenbedingungen seiner/ihrer  Berufstätigkeit und sichert zu, veränderte rechtliche Rahmenbedingungen bei der Ausübung der Tätigkeit zu beachten.

Das DGTD-Mitglied nimmt eigenverantwortlich an geeigneten

  • Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen,
  • Supervisionen und/oder Intervisionen teil.

Das DGTD-Mitglied verpflichtet sich, die Tätigkeit auf den Rahmen seiner Kompetenz zu beschränken. Es konsultiert ggf. KollegInnen oder andere Fachleute. Dabei ist es zu weiterer persönlicher Selbsterfahrung bereit, um eigene psychische Beeinträchtigungen oder Störungen behandeln zu lassen.

Für den Fall der Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit durch Krankheit, Alter, Trauer oder Befangenheit sind angemessene Vorkehrungen zur Sicherstellung der Interessen der KlientIn und/oder PatientIn zu treffen.

5. Selbstfürsorge

Das DGTD-Mitglied achtet unbedingt auf eine ausreichende Selbstfürsorge, indem er/sie die eigenen Grenzen der Belastbarkeit kennt und einhält. Außerdem achtet sie/er auf sorgsamen Umgang mit den persönlichen und fachlichen Ressourcen und deren Pflege und stellt sich regelmäßig einer Reflexion von außen durch Supervision, Intervision und Fortbildung.


6. Kollegiales Verhalten

DGTD-Mitglieder begegnen ihren BerufkollegInnen mit Respekt, üben keine unsachliche Kritik an deren Berufsausübung und enthalten sich diskriminierender Äußerungen. Sie achten darauf, dass interkollegiale Konflikte fair und ohne Machtmissbrauch ausgetragen werden.

III. Verfahren  bei Missachtung der Ethikrichtlinien

1. Zur Wahrung der Einhaltung der Ethikrichtlinien wird eine Ethikkommission gebildet.
Diese  setzt sich aus mindestens drei Vertrauensleuten zusammen, die vom Vorstand der DGTD für die Dauer von 2 Jahren berufen werden. Die Berufung erfolgt einstimmig. Eine Wiederernennung ist möglich. Die Vertrauensleute wählen aus ihrer Mitte  eine/n Vorsitzende/n und einen/eine StellvertreterIn für die Dauer von 2 Jahren.

Zur Vermeidung von Loyalitätskonflikten sind die Vertrauensleute nicht gleichzeitig in leitender Funktion in der DGTD tätig.

2. Die Ethikkommission nimmt Anfragen und Beschwerden von KollegInnen und/oder KlientInnen und/oder PatientInnen entgegen.

Die Beratung erfolgt stets vertraulich.

Die Ethikkommision ist Ansprechpartner für KlientInnen und PatientInnen sowie AusbildungskandidatInnen, die wegen möglicher Grenzüberschreitungen durch ein DGTD-Mitglied im professionellen Kontext in Bedrängnis geraten sind.

Die Ethikkommission ist weiterhin Ansprechpartner für ratsuchende DGTD-Mitglieder, die entweder sich selbst in einer ethisch fragwürdigen Situation befinden oder von möglicherweise ethisch fragwürdigem Verhalten eines/einer KollegIn erfahren haben.

3. Die Tätigkeit der Ethikkommission besteht darin, den Sachverhalt aufzunehmen, die AntragstellerInnen sowie Beteiligte anzuhören und im Anschluss den Sachverhalt zu klären.

Die Ethikkommission soll die Beteiligten beraten. Bei Bedarf ist in Absprache mit dem Vorstand juristischer Rat einzuholen.

Bei besonders schwerwiegendem Fehlverhalten oder einem Verhalten, das zu einem gravierenden Schaden geführt hat oder führen kann, hat die Ethikkommission dem Vorstand Empfehlungen zur weiteren Vorgehensweise zu geben. Diese Empfehlungen können Sanktionen bis hin zum Ausschluss des Mitglieds aus dem Verein umfassen.

Sie sollen bei der weiteren Beschlussfassung berücksichtigt werden.

4. Die Mitglieder der Ethikkommission sind gegenüber Dritten zum Schweigen verpflichtet.

IV. Verfahrensordnung der Ethikkommission

1. Die Ethikkommission wird von dem/der Vorsitzenden oder seinem/r StellvertreterIn bei Bedarf einberufen, mindestens 1 x im Jahr. Es sollen immer alle Mitglieder teilnehmen. Die Tagesordnung wird von den Mitgliedern festgelegt, die Ergebnisse werden protokolliert. Bei der nachfolgenden Sitzung werden die durchgeführten Aktionen überprüft.

2. Die Mitglieder der Ethikkommission sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Verschwiegenheitspflicht besteht auch nach Ausscheiden aus der Kommission weiter. Eine Ausnahme stellt die Berichtspflicht an den Vorstand dar, die besteht, sobald Sanktionen erteilt werden müssen oder Belange des gesamten Vereins betroffen sind. Die Sitzungen sind nicht öffentlich. Protokolle und interne Unterlagen bewahrt der/die Vorsitzende gemäß den Datenschutzrichtlinien auf. Sie stehen nur den Mitgliedern der Kommission zur Verfügung.

3. Die Sitzung wird von dem/der Vorsitzenden oder ihres/ihrer StellvertreterIn geleitet.

4. Die Ethikkommission kann zur Klärung ethischer Fragen und zur Aufklärung bei möglicherweise vorliegendem Fehlverhalten Informationen einfordern, eine mündliche oder schriftliche Befragung der Betroffenen durchführen und weitere Maßnahmen ergreifen, die zur Klärung des Sachverhaltes beitragen.

5. Die Arbeit der Ethikkommission soll ein größtmögliches Maß an Offenheit, Objektivität und Neutralität gewährleisten. Sie gewährt Anonymität, wenn dies gewünscht und angemessen ist, unterstützt Problemlösungen und muss sich selbst reflexiv auch über mögliche eigene persönliche Befangenheit und Konsequenzen ihrer Arbeit im Klaren sein.


Änderungen dieser Ethikrichtlinien bedürfen der Zustimmung  der Mitgliederversammlung.