DGTD Tagung 2021 – Onlinetagung – vom 7. bis 8. Mai 2021
Das wächst sich aus?! Trauma, Dissoziation und Älterwerden

Referenten/innen Freitag, 7. Mai 2021

 

09.15 Uhr


Eröffnung 
Michaela Huber, 1. Vorsitzende DGTD e.V.
 

Vortrag 1

09.30 – 10.45 Uhr

Trauma, Dissoziation und gebrochene Identitäten

Dr. med. Martin Auerbach

Abstract: Viele Kinder – Überlebende des Holocaust – Child Survivors – leiden oft ihr ganzes Leben unter Identitätsproblemen. Die traumatischen Trennungen, die Verluste von Eltern, Verwandten und Heimat, und die Verfolgung im Holocaust waren für sie die Auslöser für ein lebenslanges tiefgreifendes Gefühl keine solide Identität zu haben.

Oft sprechen sie von einer "verlorenen Kindheit" oder davon, dass sie ein "Doppel-leben" mit multiplen Identitäten führen.

  • Tragen dissoziative Phänomene zu diesen Identitätsfragen bei?
  • Oder ist es die Unmöglichkeit des Verständnisses, der Repräsentation und der Aufarbeitung dieser katastrophalen Erfahrungen des Holocausts?
  • Besteht gerade im Alter doch noch die Möglichkeit zumindest einen Teil dieser Erinnerungen und Erlebnisse besser in ein kohärentes Sinn- und Lebensnarrativ zu integrieren?

Im Vortrag werden diesbezügliche Fallbeipiele von Holocaustüberlebenden vorgestellt und theoretische Konzepte und Überlegungen besprochen.

Kurzbiografie
 

Vortrag 2

10.45 – 11.30 Uhr

Diese Wunden heilen nicht von selbst: Trauma und Dissoziation in der Lebensspanne

Dr. med. Harald Schickedanz

Abstract: Im Laufe unseres Lebens existieren Phasen, in denen wir aus biologischen, psychischen und sozialen Gründen unterschiedlich verletzlich oder resilient gegenüber toxischen Stressbelastungen sind. Die hier entstandenen Wunden heilen nicht von selbst. Im Vortrag werden diese Phasen skizziert und Vorbeugung und Behandlungsansätze beschrieben.

Kurzbiografie
 

Vortrag 3

12.00 – 12.45 Uhr

Gespenster im Kinderzimmer – Weitergabe in der Mutter-Kind-Beziehung

Prof. Dr. med Kerstin Weidner

Abstract: Peripartale psychische Störungen sind hochprävalent. Die Besonderheit liegt in der transgenerationalen Bedeutung mit Auswirkungen auf die Bindung zum Kind und die kindliche Entwicklung. Für das Kind ist eine mütterliche psychische Störung bereits eine erste negative Lebenserfahrung und kann die weitere körperliche und seelische Entwicklung beeinflussen. Im Vortrag wird auch anhand von Videos ein Überblick über spezifische Auswirkungen mütterlicher psychischer Störungen auf das Kind gegeben und ein interaktionszentriertes Behandlungskonzept vorgestellt.

Kurzbiografie
 

Workshop Session A … 14.30 – 16.00 Uhr

Workshop 1

14.30 – 16.00 Uhr … Session A

Alter und Trauma

Martina Böhmer u. Daniela Halfmann

Abstract: Menschen im höheren Lebensalter sehen sich häufig mit traumatischen Erfahrungen vergangener Zeiten konfrontiert, die ihren heutigen Lebensalltag meist negativ beeinflussen. Die Gründe dafür sind vielfältig und werden in dem Workshop beleuchtet. 
Etwa die Hälfte der Kriegs- und Nachkriegsgeneration trägt schwer an den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg durch z. B. Bombenangriffe, aktive Kriegshandlungen, Vergewaltigungen, Flucht und Vertreibung sowie Hungersnot. Genauso zählen gewalttätige Erziehung, sexualisierte Gewalt in der Kindheit oder als Erwachsene, Bindungsstörungen oder Erfahrungen als ehemalige Heimkinder dazu. Für später Geborene spielt zudem die Weitergabe von Traumata vorheriger Generationen eine Rolle. Viele Betroffene haben – auch vor dem Hintergrund des kollektiven Schweigens – ihr Leben durch Verdrängung bewältigt, sind mit ihren Erlebnissen allein geblieben und verstummt. Aber auch aktuell können sich alte Menschen vielfältiger Gewalt, z. B. im Kontext von derzeitigen Kriegen, Betrug oder Überfällen ausgesetzt sehen. Ebenso sind Belastungen durch Verluste, Diskriminierungen, Erkrankungen, Hilfe- und Pflegebedürftigkeit möglich. Insbesondere (ältere) Frauen können zudem von vergangener und aktueller sexualisierter und häuslicher Gewalt betroffen sein. Zurückliegende oder aktuelle Traumata und deren Folgen werden bei alten Menschen nicht immer erkannt. Insbesondere sind hochaltrige Menschen von Fehleinschätzungen und -behandlungen und entsprechend fehlender Therapie und Beratung betroffen.

Um die Betroffenen angemessen und traumasensibel unterstützen zu können, wird Ziel des Workshops sein, anhand von entsprechenden Biografien und den Fallgeschichten aus Ihrer Praxis konkrete Handlungshilfen zum Umgang mit den Betroffenen zu erarbeiten. Ein besonderes Augenmerk wird zudem auf der eigenen Einstellung zu alten Menschen liegen. 
Es werden mögliche Besonderheiten in der Beratung, Therapie, der medizinischen Versorgung und Pflege mit älteren/hochaltrigen Menschen aufgezeigt.
Abschließend wird die Beratungsstelle für Frauen ab 60 Paula e.V. in Köln vorgestellt.

Kurzbiografien
 

Workshop 2

14.30 – 16.00 Uhr … Session A

Die Wirkung der Traumatisierung großer Systeme – Trauma, Altern und Vertrauen.

Prof. Dr. Ursula Riedel-Pfäfflin

Abstract: Durch die Geschichte von Dresden und Umgebung zieht sich von 1945 bis heute eine Folge von Traumatisierungen durch Krieg, Besatzung und Unrechtsstaat sowie auch das Vorgehen bei der deutschen Wiedervereinigung. Gerade Menschen im Alter von 50 aufwärts haben mehrfach Belastungen durch Verluste, Gewalt, Bedrohung sowie aufgezwungene Veränderungen erlebt. Diese haben noch heute gravierende Auswirkungen auf ihre eigenen Biographien, ihre Familien und ihre beruflichen Wege.

In diesem Workshop fragen wir nach der Bedeutung von Schweigen, Verdrängung und Misstrauen auf Beziehungen in kleineren und größeren Systemen. Wir stellen die Frage, was bieten beraterische /therapeutische Einrichtungen und Therapeut/innen für die Aufarbeitung und Heilung gesellschaftlich verursachter Traumen an?

Kurzbiografie
 

Workshop 3

14.30 – 16.00 Uhr … Session A

Die Dissoziative Identitätsstörung bei Kindern und Jugendlichen: eine Studie zu der Relevanz der Diagnose und den psychotherapeutischen Interventionsmethoden in Deutschland

Anne Batz

Abstract: "Ich glaube, es gibt zwei Dalmas. Die eine ist Dalma und die andere ist Debora, sie sind beide dasselbe… aber in anderen Farben" (Dalma, 4 Jahre).

Dies ist der erste Hinweis, den Baita in ihrer Kasuistik beschreibt, der darauf schließen lässt, dass ihre vierjährige Patientin Dalma viele ist (vgl. Baita 2018:56).

Die Dissoziative Identitätsstörung (DIS) bei Kindern und Jugendlich ist im nationalen Raum weitgehend unerforscht. Forschung und Aufklärung zu diesem Störungsbild findet hauptsächlich im Erwachsenenalter statt. Die schwerste aller Traumafolgestörung setzt jedoch mit Beginn im Kindesalter nach mehrfacher, anhaltender sexualisierter, körperlicher und/oder emotionaler Gewalt ein. Aufgrund der Tatsache, dass besonders national wenig Forschung zu dem Störungsbild betrieben wird, entwickelte sich die Idee einer eigenständigen Studie im Rahmen der Masterthesis des Studiengangs Therapeutische Soziale Arbeit der Hochschule Nordhausen mit folgenden Forschungsfragen:

  • Welche Relevanz stellt die Diagnose der DIS bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland dar?
  • Welche psychotherapeutischen Interventionsmethoden wenden Therapeut*innen bei Kindern und Jugendliche mit DIS in Deutschland an? 


Um die Theorie, die aus internationaler Literatur, Literatur aus der Arbeit mit erwachsenen DIS Patient*innen und der Literatur aus der Traumatherapie gewonnen wurde, auf die Dissoziative Identitätsstörung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland zu beziehen, wurde zweigeteilt vorgegangen. Um ein datenbasiertes Basiswissen über die Diagnosevergabezahlen der 0–21jähirgen in Deutschland der DIS nach ICD-10 Codierung (F44.81) zu erlangen, wurden zunächst im Sinne einer quantitativen Sekundäranalyse die Abrechnungszahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung beim Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland angefragt. Auf Grundlage dieser gewonnenen Daten wurde die primäre qualitative Studie der Forschungsarbeit konzipiert. Mittels Expert*inneninterviews wurden fünf Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen mit Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen mit DIS mit einem halbstrukturierten Leitfaden zur Relevanz der Diagnose und den psychotherapeutischen Interventionsmethoden befragt.


Die Ergebnisse der Studie möchte ich Ihnen in meinem Workshop gerne nahebringen, um in im Anschluss daran mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Was sind Ihre Erfahrungen mit der DIS bei Kindern und Jugendlichen? Haben Sie bereits Erfahrungen gemacht? Wie schätzen Sie die Ergebnisse ein? Ich freue mich auf einen regen Austausch! 


Baita, S. (2018): Ich und alle meine Schwestern. Die Therapie eines sexuell missbrauchten Mädchens mit dissoziativer Identitätsstörung. In: Wieland, S. (Hrsg.) (2018): Dissoziation bei traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Grundlagen, klinische Fälle und Strategien. S. 50–88. 2. Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta.

Kurzbiografie
 


Workshop Session B … 16.30 – 18.00 Uhr

Workshop 4

16.30 – 18.00 Uhr … Session B

Wie kann ambulante Psychotherapie mit komplextraumatisierten / dissoziativen Patient*innen beginnen und gelingen?

Linda Beeking

Abstract: Eines Tages sitzt jemand vor uns und wir realisieren, da sitzt jemand vor uns, die/den wir zunächst nicht fassen, nicht einordnen können und uns dämmert…dieser Mensch zeigt sich in verschiedenen Selbstanteilen oder ist bemüht uns gerade das nicht merken zu lassen. Viel gelesen, schon gehört? Aber um es mit Goethe zu sagen: "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum."
Komplex traumatisierte PatientInnen fordern uns heraus, nicht zuletzt, weil sie ein herausforderndes Verhalten haben. Hochdissoziative Menschen waren oder sind i.d.R. schwerstem Gewalterleben und massiven Bindungstraumatisierungen ausgesetzt. Regelhaft finden sich Selbstanteile, die täterloyal oder täteridentifiziert das Werk der Täter im Inneren fortsetzen. Die PatientInnen mussten sich unerträglichen Lebensumständen anpassen und setzen diese Anpassungsleistung fort. Ein Balanceakt in der Psychotherapie.

  • Wie können wir den PatientInnen helfen, diese Phänomene zu verstehen und Veränderung zu ermöglichen?
  • Wie können wir selbst verstehen, was jeweils ist und was es mit uns macht?


In dem Workshop soll, wie bereits im letzten Jahr, für KollegInnen, die erste Erfahrungen mit (hoch-)dissoziativen PatientInnen gemacht haben oder sich der Thematik annähern wollen, ein Überblick über ein sinnvolles Vorgehen gegeben, sowie entsprechende Strategien und Techniken dargestellt werden. An Fallbeispielen können zwischendurch Fragen erörtert werden.

Kurzbiografie
 

Workshop 5

16.30 – 18.00 Uhr … Session B

Die Begegnung von Trauma-Überlebenden und Therapeuten stellt beiden die Frage ihrer Identität

Dr. med. Martin Auerbach

Abstract: Die Begegnung von Trauma- Überlebenden und ihren Therapeuten und Therapeutinnen ist herausfordernd. Sie ist oft bereichernd, aber auch ziemlich schwierig, und bewirkt meistens eine ständige Fragestellung an beide Teilnehmer des therapeutischen Dialoges:

  • Wer bin ich heute?
  • Wie lebe ich mit meiner eigenen Vergangenheit?
  • Was löst unsere Begegnung in mir aus?
  • Wie nehme ich meinen Dialogpartner in dieser Begegnung wahr?

Für uns Therapeutinnen und Therapeuten ist dies mehr als eine Frage der Gegenübertragung, es ist eine Herausforderung und Gelegenheit uns mit unserer eigenen Identität auseinanderzusetzen.

Die Behandlung dieser Themen ist für Traumatherapeutinnen und Traumatherapeuten bedeutsam und notwendig.

Für mich und für meine Kollegen und Kolleginnen in AMCHA Israel – dem israelischen Zentrum der psychosozialen Hilfe für Überlebende des Holocaust und ihrer Familien – bedeutet dies eine Auseinandersetzung mit unserer Familiengeschichte und dem etwaigen Bezug zum Holocaust, der transgenerationellen Weitergabe und Aspekten der Vergangenheit und aktuellen Gegenwart.
In diesem Workshop wollen wir gemeinsam eine Gelegenheit schaffen, uns mit diesen Fragen bezüglich unserer Identität zu beschäftigen. Durch den Dialog, das sich miteinander Austauschen und Mitteilen können wir versuchen mehr Klarheit über die Vielfältigkeit unserer Identität zu erhalten.

Kurzbiografie
 

Workshop 6

16.30 – 18.00 Uhr … Session B

Das Prinzip Gewaltfreiheit – stationäre Psychotherapie mit komplex traumatisierten und dissoziativen Menschen

Dr. med. Harald Schickedanz

Abstract: Stationäre Psychotherapie mit komplex traumatisierten oder/und hoch dissoziativen Patient*innen stellt hohe Anforderungen an Rahmenkonstruktion und setting. Im Zentrum einer phasen-, bindungs- und  prozessorientierten veränderungswirksamen Psychotherapie steht die Gewaltfreiheit aller am Gelingen Beteiligten.

Der Referent teilt gerne über 25 Jahre praktischer Erfahrungen auf diesem Feld mit den Teilnehmer*innen.

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